Projekt Beschreibung
Kicker, Kämpfer & Legenden
Juden im deutschen Fußball
13.09.2006 – 17.12.2006
Idee: Hermann Simon
kuratiert von Chana Schütz, Swantje Schollmeyer
Chana Schütz, Hermann Simon, Swantje Schollmeyer
Kicker, Kämpfer & Legenden
Sie waren Pioniere des Fußballs. Jüdische Fußballer, Trainer, Journalisten und Funktionäre haben den Fußball in Deutschland populär gemacht. Sie wurden umjubelt, verehrt und respektiert, galten als Vorbilder im Sinne des sportlichen Gedankens des Fairplay. Ihre revolutionären Visionen und Methoden setzten Maßstäbe, die damals von engstirniger und nationalistischer Seite angeprangert wurden. 1933 waren ihre erfolgreichen Karrieren schlagartig beendet. Bis zum 10. November 1938 durften Juden nur noch in jüdischen Vereinen spielen. Danach wurden alle Sportaktivitäten für sie verboten, und sie teilten das Schicksal aller europäischen Juden. Nach dem 2. Weltkrieg sollten Juden nie wieder eine vergleichbare Rolle im deutschen Fußball spielen. Ihre Verdienste wurden verdrängt und gerieten in Vergessenheit. Die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum will mit seiner Ausstellung ,,Kicker, Kämpfer und Legenden” dieses Kapitel deutscher Fußballgeschichte wieder in Erinnerung rufen.
Chana Schütz, Hermann Simon, Swantje Schollmeyer
Kicker, Kämpfer & Legenden
Sie haben für den Fußball Pionierarbeit geleistet. Jüdische Fußballer, Trainer, Journalisten und Funktionäre sind es, die den Fußball in Deutschland populär machen. Vorbild ist das Fußballmutterland England und seine Ideale wie Fairplay, Toleranz und Weltoffenheit. Die Entwicklung des Fußballs in Deutschland lässt sich anhand von fünf Protagonisten verfolgen: Walther Bensemann (1873-1934), Gottfried Fuchs (1889-1972), Julius Hirsch (1892-1943 ermordet in Auschwitz), Kurt Landauer (1884-1961) und Richard „Little“ Dombi, eigentlich Richard Kohn (1888-1963).
Er ist der Visionär: Walther Bensemann, der den Fußball in Deutschland etabliert. Er organisiert 1898 das erste Fußballspiel zwischen einer deutschen und einer ausländischen Mannschaft, ausgerechnet mit dem „Erzfeind“ Frankreich. Mit finanzieller Hilfe seines Weggefährten Ivo Schricker initiiert Bensemann im Jahre 1899 die ersten Begegnungen zwischen deutschen und englischen Auswahlmannschaften auf deutschem Boden. Diese Begegnungen gehen als „Urländerspiele“ in die deutsche Fußballgeschichte ein. Für Bensemann dienen sie der Völkerverständigung. Die dabei gemachten Erfahrungen erfordern die Gründung eines übergeordneten Fußballverbandes: Unter der Mitwirkung von Walther Bensemann wird am 28. Januar 1900 der Deutsche Fußballbund (DFB) gegründet.
Juden im deutschen Fußball
Im Jahre 1920 ruft Walther Bensemann die Fußballzeitschrift „Der Kicker“ ins Leben. Er ist Inhaber, Herausgeber und Chefredakteur zugleich. Ganz bewusst wählt er den englischen Titel, die betont unabhängige Berichterstattung ist ein „Symbol der Völkerversöhnung durch den Sport“, die über die Grenzen Deutschlands hinausblickt. Der „Kicker“ wird auch im Ausland vertrieben und gelesen. Bensemanns Glossen wenden sich gegen das aufkommende Spießertum und gegen den wachsenden militanten Nationalismus im Sport. Bis heute gehören sie zu den besten Publikationen des Sportjournalismus. „Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht das einzig wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen.“
Diese Botschaft Bensemanns ist heute aktueller denn je: Internationale Fußballbegegnungen stehen im Interesse der Öffentlichkeit. Die führenden Vereinsmannschaften sind kosmopolitisch aufgestellt und adaptieren unterschiedliche Spielsysteme. Legendär sind die beiden jüdischen Fußballer: Gottfried Fuchs und Julius Hirsch. Beide spielen beim Karlsruher FV, einem der damals erfolgreichsten Vereine Deutschlands. Der Verein wird 1910 erstmalig Deutscher Meister. „Vor allem der Karlsruher Innensturm Förderer, Fuchs, Hirsch, dem damals ein sagenhafter Ruf vorausging, imponierte mir mit seinen technischen Kunststückchen und bestechenden Kombinationszügen so sehr, dass ich sie heute noch in der Erinnerung nachziehen könnte.“ So erinnert sich der spätere Trainer der Deutschen Nationalmannschaft Sepp Herberger, der die Karlsruher Spieler als Kind bewunderte. Gottfried Fuchs und Julius Hirsch gehören von 1911 bis 1913 zu den bedeutendsten Spielern der deutschen Fußballnationalmannschaft. Das Länderspiel gegen Holland in Zwolle, 1912 (Endstand 5:5), gilt als das beste vor dem 1. Weltkrieg. Daran haben beide den entscheidenden Anteil: Hirsch schießt vier Tore und Fuchs eins. Das Erfolgsrezept für diese Mannschaft war die hohe Anzahl von Karlsruher Spielern, die man als „Blockbildung“ bezeichnet. Später wird Sepp Herberger die „Blockbildung“ für die Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz übernehmen, diesmal mit den Spielern von Kaiserslautern. Zur Begründung sagt er: „Gut eingespielte Paare sind eine der stärksten Waffen des Angriffspiels gegen jene noch so gut organisierte und erstrecht gegen eine massive Abwehr.“ Gottfried Fuchs erreicht bei den Olympischen Spielen in Stockholm 1912 einen bis heute ungeschlagenen nationalen Rekord. Er schießt bei einem 16:0 Sieg gegen Russland zehn Tore.
Juden im deutschen Fußball
Walther Bensemann legt im Juli 1933 die Chefredaktion des „Kicker“ aus „gesundheitlichen Gründen“ nieder und geht ins Exil in die Schweiz, wo er 1934 mittellos stirbt. Gottfried Fuchs gelingt es, über Umwege mit seiner Familie 1940 nach Kanada zu emigrieren. Julius Hirsch verliert 1933 seine Arbeit, 1941 wird er zur Zwangsarbeit verpflichtet. 1943 wird er von Karlsruhe nach Auschwitz verschleppt und ermordet.
Kurt Landauer tritt 1933 als Präsident von FC Bayern München zurück. 1938 wird er verhaftet, ins Konzentrationslager Dachau verschleppt und nach vier Wochen wieder entlassen. 1939 gelingt ihm die Ausreise nach Genf. 1947 kehrt er nach München zurück und wird abermals zum Präsidenten von FC Bayern München gewählt. Richard Dombi wechselt 1934 als Trainer in die Schweiz und schließlich 1935 zu dem holländischen Verein Feyenoord Rotterdam. Es gelingt ihm, in Holland den Naziterror zu überleben. Feyenoord Rotterdam bleibt er bis zu seinem Tode treu.
Auch die Karrieren anderer jüdischer Fußballer in Deutschland werden durch den Machtwechsel 1933 und den Beginn der Nazidiktatur abrupt beendet. Bereits im Sommer 1932 tritt Jenö Konrad als Trainer des 1. FC Nürnberg zurück, nachdem die nationalsozialistische Propagandazeitschrift „Der Stürmer“ gegen ihn gehetzt hat. Konrad erkennt, dass man als Jude in Deutschland nicht mehr in Ruhe arbeiten kann und geht ins Ausland. Noch protestieren seine Kameraden vom 1. FC Nürnberg gegen seinen Rückzug. Jedoch mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 ist der Ausschluss von Juden aus allen Bereichen der Gesellschaft, also auch der Ausschluss aus den Fußballvereinen, erklärtes Ziel der neuen Regierung. Ohne nennenswerten Protest ihrer Sportskameraden müssen überall in Deutschland Juden ihre Vereine verlassen.
Jüdischer Fußball nach 1933
Bis zum Ende des Jahres 1933 werden in ganz Deutschland jüdische Spieler und Funktionäre aus Sportvereinen und Fußballmannschaften ausgeschlossen, nur noch Mannschaften jüdischer Vereine dürfen gegeneinander spielen. Überall werden nun jüdische Sportvereine gegründet, in nur kurzer Zeit sind es über 100 Vereine mit ca. 60.000 Mitgliedern. Bis 1933 gibt es in Deutschland nur 25 jüdische Vereine mit ca. 8000 Mitgliedern. Die Vereine gehören entweder zum Sportbund Schild, der dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten nahe steht, oder sind Mitglieder im deutschen Makkabikreis.
Die Vereine des Makkabi sind zionistisch orientiert und sehen im Aufbau des Landes Israel die Zukunft des jüdischen Volkes. Die Anhänger des Schild dagegen handeln bewusst als Deutsche, deren patriotische Pflicht es ist – sportlich gestählt und selbstbewusst – gegen den wachsenden Antisemitismus zu kämpfen. Trotz dieser höchst unterschiedlichen Anschauungen müssen sich im September 1934 diese beiden Sportverbände auf Verfügung des Reichssportführers zu einem Verband organisieren, dem Reichsausschuss jüdischer Sportverbände. In den folgenden Jahren gewinnt die Fußballabteilung des Barkochba-Hakoah Berlin mehrmals die deutsche Makkabimeisterschaft.
Die Sportaktivitäten in den jüdischen Vereinen stärken das Gemeinschaftsgefühl und bieten Schutz vor den Anfeindungen der feindseligen Umgebung. Doch dies gilt nur für eine gewisse Zeit. Immer mehr Sportler verlassen mit ihren Familien Deutschland und so ist gerade der Fußball als Mannschaftssport dem ständig zunehmenden Auflösungsprozess jüdischen Lebens in Deutschland ausgesetzt. In den Emigrationsländern dagegen schließen sich Sportler zusammen, wie etwa in New York oder in Cali (Kolumbien), wo ehemalige Schild-Sportler Fußballmannschaften bilden, die Sportkameraden bei der Eingliederung in die neue Heimat behilflich sind. Das letzte große jüdische Sportereignis in Deutschland findet am 22. Oktober 1938 statt. Das 40jährige Jubiläum (1898) von Bar Kochba Berlin wird mit einem Sportfest auf dem Sportplatz in Grunewald gefeiert. Am 10. November 1938 werden alle Sportaktivitäten verboten. Sie entsendet fünf Spieler darunter den Torwart Schaul und Hans Sperber zu der 2. Makkabiah 1935, den internationalen Makkabispielen, nach Tel Aviv, bei der das Fußballteam aus Deutschland Vizemeister wird.
Good to know.
Weitere Informationen zur Ausstellung
Stadionmagazin
Pressemappe
Bildungsprogramm
Vernissage
Gefördert durch
Bild 1: Blick in die Ausstellung 1 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 2: Blick in die Ausstellung 2 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 3: Blick in die Ausstellung 3 (c) CJ_Anna Fischer
Bild 4: Blick in die Ausstellung 4 (c) CJ_Anna Fischer
Impressum Ausstellung
Kicker, Kämper und Legenden
Juden im deutschen Fußball
Idee
Hermann Simon
Gesamtleitung
Chana Schütz
Kuratorin der Ausstellung
Swantje Schollmeyer
Konzeption
Swantje Schollmeyer, Chana Schütz
Präsentationskonzept und Gestalterische Leitung
Georg von Wilcken,
Museumspädagogischer Dienst Berlin
Ausstellungsgestaltung
Duncan McCauley,
Tom Duncan, Noel McCauley
Mitarbeit
Katharina Bonhag, Tal Bar On
Ausstellungsgrafik
Tina Raccah
Media-Installation
Konzept und Produktion Duncan McCauley,
Tom Duncan , Noel McCauley
Wissenschaftliche Leitung
Swantje Schollmeyer
Drehbuch
Nina Vocilka
Animation
Eva-Maria Heinrich
Ton-Design
Arno P. Jiri Kraehahn, Sebastian Morsch
Film
,,Makkabi – ein jüdischer Fußballverein in Berlin”
Franz Kowalski, kowalski.tv
Pädagogische Leitung
Gudrun Maierhof,
Swantje Schollmeyer
Übersetzungen ins Englische
Maria Lanman
Mitarbeit und Recherche
Uta Hörmeyer,
Olga Klymovych, Theresa Neumann, Pavle Pocrnja
Ausstellungstechnik
Nicole Klause, Karl Vollprecht
Ausführende Firmen
Ausstellungsmanufaktur Hertzer GmbH, PPS, PIKAG, Rolf Schmidt, Werbeagentur form art
Besonderer Dank
gilt dem Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie –
gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus”
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. Bereitgestellt und betreut durch deren Service Gesellsschaft entimon.
Jüdisch. Berlinerisch. Mittendrin.
Museum. Authentischer Ort. Alt-Neu.
Historisches Archiv & Bildarchiv
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